Supply Chain Management

"Auf der Suche nach dem gläsernen Hersteller"
Was macht eigentlich ein Kybernetiker? Diese Frage kommt garantiert, wenn Sven-Volker Rehm erzählt, was er fünf Jahre lang an der Universität Stuttgart studiert und vor kurzem mit dem Diplom abgeschlossen hat. "Wir beschreiben Systeme", erklärt er nachsichtig. Wenn er dann dem leeren Blick seines Gegenübers begegnet und ein vorsichtiges Aha hört, fügt er noch hinzu: "Wir versuchen das Denken der Leute zu beeinflussen." Dabei hat der 24-Jährige insbesondere die Leute aus der Modebranche im Visier. Für seine Studienarbeit zum Thema "Analyse von Geschäftsprozessen einer typischen Wertschöpfungskette der Textil- und Bekleidungsindustrie im Rahmen des Supply Chain Managements" erhält Sven-Volker Rehm in diesem Jahr den Förderpreis der Wilhelm-Lorch-Stiftung. Die strukturierte Art Probleme zu lösen hat Sven-Volker Rehm schon immer fasziniert. Mathematik war neben Englisch sein Abi-Leistungskurs. Weil er aber nicht nur mit Zahlen, sondern auch mit Menschen arbeiten will, spezialisierte er sich bei seinem Studium auf Wirtschafts-Kybernetik. Er schloss sich der Forschungsgruppe von Prof. Dr. Thomas Fischer an, die sich mit der Textil- und Bekleidungsindustrie beschäftigt. Supply Chain Management ist hier das Schlagwort. "Während das in der Autoindustrie schon erfolgreich praktiziert wird, hat die Bekleidungsindustrie hier noch großes Verbesserungspotenzial", erklärt Rehm. Die Probleme seien auch ganz andere. "Eine Schraube ist eine Schraube. Da sind die Unterschiede nicht so groß. Das Garn aber muss immer vom selben Hersteller, möglichst sogar von der selben Maschine kommen, sonst sieht das linke Hosenbein am Ende anders aus als das rechte." Das verlange eine ganz andere Vorplanung, hat Rehm bei seinen Recherchen für seine Studienarbeit festgestellt. Für die Untersuchung im Rahmen des EU-Projekts Visit, das vom Institut für Textil- und Verfahrenstechnik Denkendorf geleitet wird, schaute er sich bei Santi, KBC und Gerry Weber um. Er hat die ganze Produktionskette analysiert. Vom Weber über den Veredler bis zum Bekleider. Von der Anfrage über die Auftragsbestätigung bis zur Rechnung. Er hat Mitarbeiter von Einkauf, Produktion, Verkauf und Planung befragt. Er hat gesehen, dass Lieferlisten stapelweise von Hand durchgearbeitet werden und gehört, wie stundenlang telefoniert wurde, weil der Weber nicht wusste, was der Spinner macht. "Das kostet Zeit. Mein Ideal ist der gläserne Hersteller, der vernetzt ist mit seinen Partnern. Die Menschen müssen miteinander reden." Das zu steuern, sieht Rehm als die Aufgabe eines Kybernetikers. Den ersten Schritt dazu hat er mit der Beschreibung der Produktions-Abläufe in der prämierten Arbeit getan. Die Studie war Grundlage für eine Software, die inzwischen entwickelt wurde und zur Zeit in den untersuchten Firmen getestet wird. Im Dezember hat Sven-Volker Rehm sein Studium abgeschlossen. Die Modebranche mit ihren spezifischen Problemen behält er aber weiter im Visier. Als Doktorand arbeitet der Diplom-Kybernetiker an einem neuen EU-Projekt für das Denkendorfer Institut. Er ist von seiner Heimatstadt Backnang in die Nähe der Uni gezogen. Und obwohl Rehm das Planen im Blut hat, findet er kaum Zeit, seine neue Wohnung einzurichten, geschweige denn für seine Hobbys Wasserball und Gitarrespielen. Seit zwei Monaten fährt er jede Woche nach Mailand, um die Produktionsabläufe im Netzwerk der Firma Bassetti zu analysieren. Bevor er irgendwann die 10.000 DM Fördergeld für den Aufbau seiner eigenen Beratungsfirma einsetzen möchte, will er seine Dissertation schreiben. Am liebsten über die sozioökonomischen Auswirkungen des Supply Chain Managements. Was ändert sich am Denken der Menschen? Das ist die Frage, die Sven-Volker Rehm am stärksten beschäftigt. Denn als Kybernetiker sieht er es schließlich als seinen Job an, das Denken der Leute zu beeinflussen. Und damit vielleicht ein wenig die Welt zu verbessern.
Kirsten Reinhold
TextilWirtschaft 17 vom 26.04.2001