Die russische Avantgarde - eine neue Zeit inspiriert die heutige

Einmal Moskau und zurück
"Das ganz Schicke ist nicht mein Ding. Dann mag ich's lieber tough", sagt Annett Rudolph. Sie trägt gerne weite Secondhand-Männerhosen und dazu ein kleines, enges Top. So ein bisschen androgyn. Da wundert es kaum, wenn Annett Rudolph (27) sich für Unisex-Kollektionen interessiert. Dass sie "schon immer fasziniert" war von Jeans- und Sportswear. Und dass sie ihr Studium an der Hochschule Niederrhein von DOB später auf die HAKA ausgedehnt hat. Arbeitskleidung, Funktionales - in diesem Feld wollte sie schließlich ihre Diplomarbeit ansiedeln. "Wenn man über ,Arbeit' nachdenkt, dann kommt man unweigerlich irgendwann auf ,Proletariat', und in dem Zusammenhang hat mich meine Professorin auf die russische Avantgarde aufmerksam gemacht." In diese Welt hat sich Annett Rudolph voller Begeisterung eingearbeitet. Wer etwas erfahren will über die Kunst- und Designströmungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Russland, der erfährt es in dieser Diplomarbeit: Nutzen und Zweckmäßigkeit waren gefordert, Mode galt als "überaltert, bourgeois und zaristisch". Stattdessen entwickelten die Künstler Bekleidungskonzepte für alle wichtigen Lebensbereiche. Und sie nutzten den Textildruck mit thematischen Bildern - ob Traktor, Fabrik oder Fliegerstaffel -, um den revolutionären Gedanken voranzutreiben. Daran hat sich Annett Rudolph bei ihrer eigenen Kollektion orientiert: "Arbeit, Freizeit, Sport" sind die drei Lebensbereiche, für die sie Outfits im Baukastensystem entworfen hat. Jedes Outfit hat ein thematisches "Herzstück" mit witzigen, selbst entwickelten Dessins. So stehen beispielsweise Bierglas und Plattenspieler für Freizeit, Computer und Telefon für Arbeit. Darum gruppieren sich ausgewählte Uni-Teile - von Overall bis Faltenrock. Natürlich in Baumwolle und mit einem Fokus auf Hochrot, der Farbe der Arbeiter und Bauern. Würde Annett Rudolph selbst ein Teil ihrer Kollektion tragen? "Aber sicher. Der Overall ist sogar eines meiner Lieblingsstücke", sagt sie. Damit liegt sie voll im Trend. Das muss sie auch: Denn seit Januar arbeitet Annett Rudolph nicht mehr, wie zunächst geplant, als Praktikantin, sondern als Designerin bei S.Oliver Boys. Dafür hat die junge Frau aus Mecklenburg-Vorpommern ihre Auslandspläne vorerst gerne verschoben. Aber einen Traum wird sie sich bestimmt erfüllen: "Einmal nach Moskau und Sankt Petersburg - und mir die russische Avantgarde im Original ansehen."
-al