"Wenn die Trauer Früchte trägt"

Friedhofsskulpturen inspirierten Nadine Richter zu einer Kollektion- und zu einer Entdeckung
Einfach zu erreichen ist Nadine Richter momentan nicht. Weder per Festnetz noch auf dem Handy. Also E-Mail. Postwendend kommt ihre Antwort: "Ich rufe an, sobald ich von der Uni zurück bin." Die Uni ist die Heriot Watt University. In Schottland, genauer in der Tweed-Region. Hier absolviert die 23-Jährige einen Master-Studiengang. Gerade fertig mit der einen Schule, der JAK in Hamburg - und schon wieder Schule? "Hier, das ist ja etwas ganz anderes. Hier arbeite ich an meinem eigenen Projekt.
Der Wunsch dazu entstand während des letzten halben Jahres an der JAK. Während der Diplomarbeit konnte ich mich zum ersten Mal in Stoffen richtig ausleben. So wollte ich gerne weiter machen."
Ihr Stoff, das ist Filz. Denn vor allem in Filz und Latex, begleitet von Seide und klassischem Glencheck, hat Nadine Richter ihre DOB-Kollektion entwickelt. Die Inspiration dazu lieferten Grabskulpturen des 19. Jahrhunderts. Die Frauen-Skulpturen und Engel, die zeitlos anmutig über Gräbern sitzen. "Ich bin überhaupt kein Gothic-Typ. Aber diese Skulpturen haben mich in ihrer Ästhetik schon immer sehr angesprochen." Klassisch, romantisch sind sie und haben mitunter sogar einen Hauch von sentimentaler Erotik. Diese Anmutung in Stoff und Formen zu übersetzen, das war Nadine Richters Ansatz zur Diplomarbeit. Doch sie wollte die griechischen, drapierten Gewänder nicht einfach nachmachen. Filz und Latex waren deshalb die Lösung: So wie Bildhauer in Stein arbeiten, so hat Nadine Richter hauchzarte Seide mit Latex modelliert. Sie hat Filz selbst hergestellt und daraus hauchzarte, netzartige Gebilde geschaffen genauso wie romantisch changierende Filzflächen. Eine ruhige, zurückhaltende Kollektion mit feinen Besonderheiten.
"Bei der Arbeit daran ist mir aufgefallen, dass es Filz nur in uni gibt. Man kann keinen gemusterten Filz kaufen. Dieser Frage wollte ich nachgehen - und daraus wurde das Master-Projekt." Seit vergangenem September arbeitet Nadine Richter daran. Und heute? Man hört ihr Lächeln durchs Telefon: "Genau kann ich das natürlich nicht beschreiben. Aber ich habe einen völlig neuen Prozess entwickelt, wie man Muster in Filz bringt."
Auch an der Heriot Watts University soll am Ende eine Bekleidungskollektion vorgestellt werden. "Die Silhouetten stehen bereits." Doch noch arbeitet Nadine Richter mit Hochdruck an den Dessins: "Sie müssen einfach super gut werden!" Nur Anfang Mai wird sie eine kurze Pause von der Arbeit machen. Da fliegt sie nach Deutschland, um beim Forum der TextilWirtschaft ihren Preis entgegen zu nehmen. Das Preisgeld kann sie gut gebrauchen für den Unterhalt in Schottland. Und für mögliche künftige Stationen ihres Werdegangs. Wenn Heriot beendet ist, möchte Nadine Richter Erfahrungen in der Industrie sammeln: "Dabei kann es durchaus sein, dass man zunächst kein Geld verdient. Das ist bei Praktika durchaus so üblich in Mailand oder London."
Doch einen ersten Sponsor hat sie schon gefunden. Bei einer Firma in Soltau kann Nadine Richter immerhin die Stoffe für ihr Master-Projekt durch die Maschinen laufen und filzen lassen. Dabei steckt vielleicht eine große Zukunft in dem Stoff: "Mal sehen - wenn die Kollektion auf gute Resonanz stößt, dann kann ich das Projekt vielleicht ja weiter verfolgen."
-Gudrun Allstädt-