Kein kleiner Unterschied

Mit einer kühnen Kollektion will Amelie Gaydoul die Grenzen zwischen Männer- und Frauenmode aufheben.
Der Mann hat Wichtigeres zu tun, als sich herauszuputzen. Er ist Geistesmensch. Die Frau Geschlechtswesen. Männermode bringt das männliche Sein zum Ausdruck, Frauenmode hingegen den weiblichen Schein. So die gängigen Thesen seit Jahrhunderten. Doch mehr noch: Es gibt – bis heute – eine unterschiedliche Bewertung der Geschlechter. Allein durch die unausgesprochene, immer noch gültige Kleiderordnung ist eine ebenbürtige Existenz von Mann und Frau nicht möglich. Und Unisex-Kollektionen? Basieren durchweg auf dem Prinzip, sich männlicher Kleidung anzupassen.
Das möchte Amelie Marie Gaydoul anders machen. Sie versucht, in ihrer Kollektion „Nomanland“, die sie im Rahmen ihrer Bachelorarbeit entwickelt hat, flexibel mit männlichen und weiblichen Kleidungs-Elementen umzugehen. So dass jeder Mensch die Kleidungsstücke spielerisch verändern und seiner Befindlichkeit anpassen kann. Durch Wickeleffekte kann der Träger selbst entscheiden, wie weit oder eng er es haben möchte. Die Grenzen zwischen Rock und Hose sind ebenso fließend wie das Spiel mit Längen und Silhouetten: körperfern oder körpernah – jeder kann selbst bestimmen.
Die Kollektion ist klar, modern, nicht verkopft. Die Eigenständigkeit des Konzepts hat die Jury überzeugt: vom Theorie-Part zu Geschlechterrollen in der Geschichte, über die Entwicklung von Silhouetten und Stoffen bis hin zur konkreten Kollektion einschließlich Accessoires. Mit ihrer Gürteltasche hat Gaydoul gar ein It-Piece geschaffen: Sie formt Figur und nimmt zugleich auf, was Frauen traditionell in Handtaschen und Männer stets am Körper mit sich tragen.
Zurzeit sammelt die 25-Jährige erste Berufserfahrung als Designassistentin Menswear bei Norse Project in Dänemark. Sie will sich im Ausland ausprobieren und Dinge erfahren, die man im Studium nicht lernt: „Die Macht der Verkaufszahlen, der Druck – es ist spannend zu erleben, wie es in der freien Wirtschaft zugeht.“ Zwei Jahre, dann kommt die nächste Etappe: Das Masterstudium in London oder New York, das sie mit dem Preisgeld finanzieren wird.
AL